Festival für Weltliteratur
2.–7.5.2022 – Köln

»Sounding Archives – Poesie zwischen Experiment und Dokument«

»Poesie erweitert das Dokument.«
Muriel Rukeyser

Das zwanzigste Jahrhundert sitzt im einundzwanzigsten Jahrhundert wie eine Matrjoschka, wispert aus dem Innern der Archive. Wo man sie öffnet und aufreiht, werden alte Leerstellen lesbar oder neue Lücken offenbar. Manches wird mutiert, chiffriert, als kleinere Matrjoschka zurücksortiert. Das Archiv, sagte Jacques Derrida, ist eine Frage der Zukunft, nicht der Vergangenheit. Poesie, schrieb die Lyrikerin Muriel Rukeyser, erweitert das Dokument. Schon immer haben Dichter:innen die Geschichte befragt und Quellenkunde betrieben, doch führten die politischen Umwälzungen der letzten dreißig Jahre, die Zunahme nationalistischer Abschottungen, Zerstörung von Ressourcen im Klimawandel und die gleichzeitige Orwellisierung unserer Datenströme vermehrt dazu, die Frage nach Zeugenschaft stärker dokumentarisch und experimentell ins Gedicht zu drängen.

Die Poetica 7 möchte darum fragen: Wie erweitern Gedichte heute das Archiv? Wie dechiffrieren sie, dokumentieren sie, wie bringen sie zu Gehör, was an traumatischem Gehalt zu Tage tritt? Und wenn vice versa Gedichte selbst opake, klingende Archive sind, wie erweitern sie unsere Vorstellung von Zeugnis, von Entzifferung der Wirklichkeit, vom Verstehen? Kann Klang als Kammer der Erinnerung retten, was in Archiven vergessen wird?

- Uljana Wolf