Festival für Weltliteratur
22.–27.1.2018 – Köln

»Beyond Identities«

»Werde ich zu einem anderen Menschen, wenn ich eine andere Sprache spreche? Sieht ein Seepferdchen anders aus, wenn es nicht mehr ›tatsu-no-otoshigo‹ (das verlorene Kind des Drachen) heißt, sondern das kleine Pferd aus der See?«
Yoko Tawada

Man muss nicht Gregor Samsa oder Daphne heißen, um sich in einen Käfer oder in einen Baum verwandeln zu können. Schon eine Tasse Tee verändert unseren Körper: Flüssigkeit befeuchtet den ausgetrockneten Hals und macht aus einer heiseren Krähe eine Nachtigall. Der Tee kann einen Menschen belebend beruhigen und aus einer rastlosen Arbeitsbiene einen ruhigen Koalabären machen. Was man zu sich nimmt, ist immer ein Anlass für eine Verwandlung. Nachdem Adam einen Apfel gegessen hat, ist er nicht mehr derselbe unschuldige Mann wie zuvor. Noch stärker als Getränke und Nahrungsmittel kann ein Medikament unser Gemüt und Gesicht verformen. Noch nie war die Menschheit mit so vielen Arzneimitteln und Drogen konfrontiert. Aber auch ein Gedicht, das wir lesen, kann uns körperlich und psychisch verändern. Nach einer Lektüre sind unsere Gedanken und Gefühle andere als zuvor, und oft sieht man das sogar am Gesicht.Ein Mann ist nicht immer männlich, ein Europäer nicht immer europäisch und ein Mensch nicht immer zweibeinig. Literatur schützt ihre Leser vor verführerisch-vereinfachenden, fremdenfeindlichen Identitätsangeboten. Wer mit der Sprache der Poesie lebt, ist in der Welt der Metamorphosen zuhause und welche ‚Heimat’ kann sicherer sein als die Literatur?
– Yoko Tawada

›Beyond Identities - Die Kunst der Verwandlung‹ lautet das Thema der Poetica IV, des vierten Festivals für Weltliteratur, das das Internationale Kolleg Morphomata der Universität zu Köln gemeinsam mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung vom 22.–27. Januar 2018 in Köln veranstaltet. Der Faszinations- und Beunruhigungswert von Literatur soll an unterschiedlichen Orten in Köln spürbar werden: in der Universität, der Stadtbibliothek, im Literaturhaus, im Japanischen Kulturinstitut, im Sancta-Clara-Keller und im Schauspiel Köln. Kennzeichnend für die Festivalform der Poetica ist die Verbindung von Literatur, Wissenschaft und Öffentlichkeit in Lesungen und Gesprächen.

Kuratorin der Poetica IV ist die deutsch-japanische Lyrikerin, Erzählerin und Essayistin Yoko Tawada. Sie hat Autoren aus drei Kontinenten eingeladen,  namhafte Experten für die Kunst der Metamorphose in Lyrik und Prosa: Jeffrey Angles aus den USA, Bei Dao aus China,    Anneke Brassinga aus den Niederlanden,  Teju Cole aus den USA bzw. Nigeria, Hiromi Itō aus Japan, Kim Hyesoon aus Südkorea, Barbara Köhler aus Deutschland, Morten Søndergaard aus Dänemark,   Monique Truong aus den USA bzw. Vietnam und Jan Wagner aus Deutschland.

Alle grammatisch männlichen Formen in diesem und den anderen Texten auf der Homepage beziehen sich gleichermaßen auf weibliche und männliche Personen.