Festival für Weltliteratur
22.–27.1.2024 – Köln

»Nach der Natur – Imaginations of Nature Poetry«

So allgegenwärtig wie seit Langem nicht ist die Natur im gesellschaftlichen Diskurs. Nachdem der Glaube an die unbegrenzten Möglichkeiten der Technisierung und die Verfügbarkeit der Ressourcen uns zwei Jahrhunderte die Natur fast ersetzlich haben scheinen lassen, dämmert uns jetzt, in welch umfassender Weise wir eben doch Teil von ihr sind.
Die Dichtung hat über die Jahrhunderte nie den engen Bezug zur Natur verloren, nur schien »Naturdichtung« trotz ihrer kritischen Töne eine zeitlose und deshalb nicht besonders aufregende Nebendisziplin – jedenfalls nicht der Gravitationsraum literarischer Debatten. Mittlerweile gibt es kaum ein Thema, das nicht in Bezug auf den Klimanotstand neu gedacht werden müsste: Die Liebe in Zeiten des Klimawandels, die Großstadt, der Krieg, die Arbeit, das kleine und das große Glück – und noch dazu die Dichtung selbst.
Was ist das Potential poetischen Sprechens angesichts der notwendigen großen Veränderungen? Mit welchen Imaginationen ist es der Poesie heute möglich, »nach der Natur« zu schreiben, wenn die modale Bedeutung des »nach« immer mehr von der temporalen verschattet wird? Oder, mit einem Schuss Galgenhumor: Was trägt die Hitze der poetologischen Diskurse eigentlich zum Klimawandel bei? Wenn ein Gedicht heute die Natur ins Wort nimmt, kommt es nicht umhin, auch den akuten Zustand der Natur einzubeziehen – zu referieren auf das Leben nach der Katastrophe in Fukushima, auf die vom steigenden Meeresspiegel bedrohten karibischen Inseln, auf die Tradition und politischen Restriktionen persischer Naturdichtung, auf die Ausbeutung der Natur in Lateinamerika.
Der Poetica 9 geht es darum, die Imaginationskraft der Dichtung vor dem Hintergrund verschiedener politischer und gesellschaftlicher Bedingungen und lokaler Traditionen zu verorten und die verschiedenen subjektiven Zugänge miteinander zu einem Gespräch über das poetisch Verbindende zu verweben.
»You haven’t thought this through, have you, boys?«, diese Liedzeile Rou Reynolds, Dichter und Sänger der Band Enter Shikari, bringt in die Dringlichkeit der Thematik die Leichtigkeit dessen zurück, worum es letzten Endes allen eingeladenen Autor:innen geht: die bedrohte Natur in ihrer Vielfalt in die Poesie zu holen.

Daniela Danz