Festival für Weltliteratur
20.-25.1.2025 – Köln

»Poetic Thinking and Hospitality – Freiräume der Poesie«

Die Krisen und Kriege der Gegenwart haben Auswirkungen auf die Art, wie wir miteinander reden, wie wir einander zuhören, wie wir Sprache ins Feld führen und was wir ihr in diesem Feld zumuten. Wir beobachten, wie erhitzte Lagerbildung, soziale Medien und die »Shitisierung« des Internets (Hito Steyerl) einen Sog nach Eindeutigkeit und Positionierung entfesseln, der auch vor den Künsten nicht Halt macht, insbesondere den Sprachkünsten. Wie verhält sich nun die Poesie in dieser Spannung zwischen reellem Leidens- und grassierendem Gewissensdruck? Wie geht sie mit Phänomenen der gesellschaftlichen Polarisierung um, wie mit den nationalen und geopolitischen Identitätsschüben, die zu einer Verengung der Sprachräume führen?
»Literature is Freedom«, so Susan Sontag in ihrer Dankrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2003. Poesie kann durch den Beziehungssinn ihrer Metaphern mannigfaltige Vorstellungen in Leser:innen evozieren. Ihre Denkbilder oszillieren zwischen Begrifflichem und Unbegrifflichem. Dergestalt entfalten Gedichte Freiräume, sie lassen sich nicht auf eine eindeutige Aussage reduzieren. Ihre Wirkmacht speist sich aus der ihr innewohnenden Dialogizität mit dem, was gegeben und dem, was noch nicht gegeben, aber möglich ist. Man könnte auch sagen: Gedichte praktizieren Gastfreundschaft in ästhetischen Spielräumen – kleinen Unterständen, Verstehensinseln –, in die man eintreten kann und alles Gemeinte oder Ungemeinte noch einmal anders verhandeln kann. Denn im Changieren von Bedeutungen und Klängen schaffen Gedichte eine Bedeutungsvielfalt, die statischem Freund-Fremd-Denken den Boden unter den Füßen wegzieht. Statt Eindeutigkeit gibt es neue Anfänge, statt Gesinnungssinn: Möglichkeitssinn.
Die Poetica 10 widmet sich ganz und gar diesem Möglichkeitssinn des Gedichts, seinen immer produktiven, immer prekären Unterkünften. Mit Autor:innen aus fünf Kontinenten will sie fragen: Auf welche Weise reagieren zeitgenössische Gedichte weltweit auf die Verengung von Räumen durch gesellschaftliche Transformationen, durch Kriege, Autokratien, Turbokapitalismus oder andere Diktate? Wie lässt sich von Gedichten lernen, poetische Denkräume zu öffnen und für uns alle offen zu halten? Wie praktizieren wir Gastfreundschaft in der Sprache, wie gestalten wir ästhetische Praktiken, die uns ethisch erden und nachhaltig verantworten?